Der Vorsitzende der Landesgemeinschaft der Krippenfreunde in Rheinland und Westfalen (LG) Dr. Alois Döring bereitet eine umfassende Publikation zu den rheinisch-westfälischen Fastentüchern vom 14.-21. Jahrhundert vor, welche eine Dokumentation der Hungertücher sowie die Entstehungsfunktion und den historischen Wandel darlegt.
Der Autor hat dazu eine Fragebogenerhebung vorbereitet, er ist für Hinweise vor allem auf Tücher aus dem 20./21. Jahrhundert sehr verbunden.
Die Publikation soll zur Fastenzeit 2022 erscheinen in Kooperation mit dem Museum Religio in Telgte.
Gewissermaßen als Vorstudie ist erschienen: Alois Döring, Das Fastentuch (Hungertuch). Revitalisierung in Rheinland und Westfalen im 20. und 21. Jahrhundert. In: Die Weihnachtskrippe. Jahrbuch der Landesgemeinschaft der Krippenfreunde in Rheinland und Westfalen e.V. 65 (2020) S. 58-78.
Heilslehre
Seit dem 11. Jahrhundert ist ein Vorhang (Velum) bezeugt, mit dem man während der Fastenzeit den Altarraum vom Kirchenschiff trennte und somit für den Gläubigen unsichtbar machte. Dessen Bezeichnung „Hungertuch“ kennzeichnet sowohl die seelische Wirkung als auch das leibliche Darben. In einem Text des elsässischen Volkspredigers Geiler von Keysersberg heißt es hierzu: „Dich sol leren das Hungertuch, so man ufspant, Abstinenz und Fasten.“
Die Bild- und Schaufreudigkeit des Spätmittelalters hat dazu beigetragen, die ursprünglich einfachen, farblosen Fastenvelen mit Bildern und Symbolen zu bemalen, zu besticken oder zu bedrucken. Zunächst handelte es sich um Darstellungen aus dem Leiden und der Kreuzigung Christi. Später kamen die Leidenswerkzeuge Christi, die in dieser Zeit große Verehrung genossen, ferner Blumen und Tiermotive als dekorative Ausstattung hinzu.
Durch die reiche bildhafte Ausgestaltung ergaben sich Möglichkeiten für die volkstümliche religiöse Unterweisung mit dem Ziel, die Gläubigen während der Fasten- und Bußzeit eindringlich mit den Geheimnissen der Heilslehre vertraut zu machen. Im Zuge der katholischen Gegenreformation im 16./17. Jahrhundert erlebte der Brauch einen Aufschwung. Die volkstümlichen Ausdrücke „Fastenlaken“ oder „Schmachtlappen“ zeigen, wie tief der kirchliche Brauch in das Bewusstsein der Gläubigen damals eingedrungen ist.
Wie manch anderer Brauch katholischer Frömmigkeit mit den hierzu verwendeten Gegenständen gerieten auch die Hungertücher während der Aufklärungszeit des 18. Jahrhunderts in den Geruch von „altem Plunder“. Sie kamen auf den Kirchenboden, meist aber wurden sie als „nichtsnutzige Lappen“ verbrannt.
Hungertücher in Rheinland und Westfalen
Im Niederrheinischen Museum für Volkskunde und Kulturgeschichte zu Kevelaer befindet sich ein Hungertuch aus Geldern, das als Fastenvelum wahrscheinlich in einer örtlichen Klosterkirche in Gebrauch war. Das 1737 von Karmeliter-Ordensfrauen aus kleinen Stoffstückchen zusammengenähte Tuch zeigt den Ablauf der Leidensgeschichte mit dem Gebet am Ölberg, der Verhandlung vor Pilatus und der Kreuzigung.
Auf dem Speicher der Kaplanei von Hüls wurde 1939 ein Hungertuch gefunden, das sich im Aachener Diözesanmuseum befindet. Das Tuch von 1621 zeigt Christus an der Geißelsäule, vor ihm liegen Dornen. Zur Rechten bindet ein Knecht Jesus an der Säule fest sowie einen Soldaten und einen jüdischen Priester. Zur Linken ist ein Mann mit einem Geißelwerkzeug zu erkennen, zu seinen Füßen sieht man Nägel und Binden. Ferner zeigt das Hungertuch den Rock Christi, Würfel, Krug, Leiter und Lanze.
Niederrheinische Hungertücher finden sich in der katholischen Pfarrgemeinde Marienbaum und stammt aus dem ehemaligen Brigittenkloster. Das Rijksmuseum Twenthe in Enschede verwahrt das Hungertuch von Korschenbroich aus dem Jahre 1624.
Das Telgter Hungertuch wurde vom Burgmann Henrich Vos und seiner Ehefrau Catarina Droste gestiftet. Es ersetzte ein älteres Hungertuch, das bereits 1621 dem Krieg zum Opfer gefallen war. Die Filetstopfarbeit wurde von adligen Damen ausgeführt. Die ersten vier Reihen schildern den Leidensweg Christi, die fünfte Reihe zeigt die Symbole der Evangelisten und das „Lamm Gottes“ als Sinnbild für Christus, die sechste Reihe Motive aus dem Alten Testament. Westfälische Fastentücher mit figürlichen Darstellungen finden sich beispielsweise auch in Vreden oder in Freckenhorst.
Das Misereor-Hungertuch
Die Fastenaktion Misereor griff 1976 den alten Fastenbrauch auf und gab ihm einen neuen Sinn in der Solidarität mit den Entwicklungsländern, MISEREOR-Hungertücher sind seither zentraler Bestandteil der Fastenaktionen. Zur Herstellung werden in der Regel Künstler aus der Dritten Welt herangezogen. Die Hungertücher werden vielfach mit kleinformatigen Stücken übernommen, als Zeichen für die vorösterliche Buß- und Fastengesinnung in der Familie. Das kleine Hungertuch leistet einen Beitrag, kirchlich-liturgischen Brauch in den Alltag zu übertragen.
Autor: Dr. Alois Döring
Literaturhinweise
Alois Döring: Rheinische Bräuche durch das Jahr. 2. Aufl. Köln 2007, S. 132-134
Paul Engelmeier: Westfälische Hungertücher vom 14. bis 19. Jahrhundert. Münster 1961
Walter Heim: Die Revitalisierung des Hungertuchs. Ein alter Kirchenbrauch in neuer Bedeutung. In: Archiv für Liturgiewissenschaft 23 (1981) S. 30-57