„Es wuchs ein Baum im Paradies“

Das mittelalterliche Weihnachtsspiel und der Paradiesbaum

Der Weihnachtsbaum mag seinen Vorläufer im mittelalterlichen kirchlichen „Paradiesspiel“ haben. Der Christbaum, wie wir ihn heute kennen, ist seit dem 16. Jahrhundert bezeugt als Baum weihnachtliche Zunftfeiern, er wanderte über adelige Weihnachtsfeiern im Laufe des 19. / 20. Jahrhunderts in Familien, Kirchen und auf öffentliche Plätze.

Am 24. Dezember gedachte die Kirche des ersten Menschenpaares Adam und Eva. Sie brachten nach alttestamentlicher Darstellung durch ihren Sündenfall (Genesis 3, 1ff) Sünde und Tod in die Welt, von der die Menschen durch Christi Kreuzestod befreit wurden. Die Erlösung von Sünde und Tod beginnt nach christlichem Verständnis bereits mit der Menschwerdung Christi, die die Christen am 25. Dezember feiern.

Im Mittelalter entstanden kirchliche („Christgeburts“-)Spiele. Diese führten die Spannung zwischen Sündenfall und Erlösung den Gläubigen vor Augen. Sie begannen mit dem „Paradiesspiel“, das die Erlösungsbedürftigkeit der Menschen sinnfällig machte: Der Schöpfung der Welt und des Menschen folgten Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies.

Bei diesem Spiel wurde auf der Bühne ein Nadelbaum aufgestellt: ein immergrüner Baum als Paradiesbaum, der mit Zeichen des Sündenfalls (Äpfel) und Zeichen der Passion Christi geschmückt war; dieser Baum der Erkenntnis von Gut und Böse blieb auch während des eigentlichen darauffolgenden Krippenspiels stehen. Er erfuhr die theologische Überhöhung, die beiden Welten von Sündenfall (24.12, Adam-und-Eva-Tag) und Erlösung (25. Dezember, Fest der Geburt Christi), von Adam und Christus zu veranschaulichen gemäß der Adam-Christus-Parallele des Apostel Paulus (Röm 5, 12ff): „Wie durch einen einzigen Menschen [Adam] die Sünde in die Welt kam und durch die Sünde der Tod … so kam durch die rechte Tat des anderen [Christus] Rechtfertigung und Leben.“ Zur Adam-Christus-Typologie schreibt der Apostel Paulus auch: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.“ (1 Kor 15,22). Die Adam-Christus-Typologie wurde auch auf den kirchlichen Kalender übertragen: Der 24. Dezember ist der Gedenktag von Adam und Eva, auf den das Hochfest der Menschwerdung des Erlösers am 25. Dezember folgt. Durch die Aufeinanderfolge von Paradiesspiel und Christgeburtsspiel zur Weihnachtszeit wurde der theologische Zusammenhang von Sündenfall und Erlösung durch die Menschwerdung des Gottessohnes veranschaulicht.

Im Christentum ist der Apfel Symbol der Verlockung, des Sündenfalls und der Sünde. Sicher belegt im 5. Jahrhundert wird die „paradiesische Frucht des Baumes“ im Abendland zum Apfel. Möglicherweise wurde die zunächst nicht näher bestimmte verbotene Paradiesesfrucht über die lateinische Wortgleichheit „malum“=Apfel und „malum“=Übel zum Apfel. − Die Glaskugeln an unseren heutigen Weihnachtsbäumen jedenfalls werden gerne als Apfel des Paradiesbaumes gedeutet.

Literatur:

Alois Döring: Rheinische Bräuche durch das Jahr. 2. Auflage Köln 2007
Alois Döring: Mythos Obst. Der Apfel in Mythologie, Aberglaube und Volksmedizin. In: Wir im Rheinland 24, 1/2006, S. 32–37
Michael Karger: Lehre mich die Weihnachtskunst. Zur Geschichte und Bedeutung des Festkreises von Advent bis Taufe des Herrn. Regensburg 2015
Dietz-Rüdiger Moser: Bräuche und Feste im christlichen Jahreslauf. Brauchformen der Gegenwart in kulturgeschichtlichen Zusammenhängen. Graz, Wien, Köln 1993
Stephan Wahle: Das Fest der Menschwerdung. Weihnachten in Glaube, Kultur und Gesellschaft. Freiburg 2015

Bildnachweis:

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Lucas_Cranach_d.%C3%84._-_Adam_und_Eva_(Courtauld_Institute_of_Art).jpg
2 Weihnachtsbaum mit echten roten Äpfeln in der Ev. Erlöserkirche Hilden; Krippe von Annette Hiemenz (LG), Foto: C. Weber, Köln