Kräutersegnung an St. Mariä Himmelfahrt, 15. August

Dr. Alois Döring

Mit „Mariä Himmelfahrt“ feiert die katholische Kirche das älteste Marienfest, entstanden im 5. Jahrhundert. Im heutigen Festkalender trägt es den Titel „Aufnahme Mariens in den Himmel“. Seit dem Mittelalter ist mit diesem Festtag die Segnung von Kräutern verbunden. Diese wird legendarisch unterschiedlich begründet.
Der griechische Kirchenlehrer Johannes von Damaskus (+ ca. 750) teilt folgende Marienlegende mit: „Die Mutter Gottes war im Alter von 72 Jahren gestorben. Die Jünger hatten sie begraben; nur einer fehlte: Thomas. Sein Weg aus Indien war so weit, dass er zu ihrem Begräbnis zu spät kam. Aber er wollte sie noch einmal sehen. Die Jünger öffneten daher das Grab; aber der Sarg barg den Leib Mariens nicht mehr. Nur ein lieblicher Wohlgeruch von Blumen verbreitete sich, und als die Jünger die Blumen zählten, waren es 72, so viele, wie der Herr Jünger ausgesandt hatte“.

Benediktionsformeln

Bis in das 10. Jahrhundert lassen sich kirchliche Segensformeln zurückverfolgen. Die ältesten Benediktionsformeln drücken den Sinn der Weihe aus, nämlich die Kräuter heilkräftig für Mensch und Vieh zu machen, wobei sie die heilende Wirkung der Kräuter hervorheben. Im Laufe des 12. Jahrhunderts kam ein weiteres Gebet hinzu, mit dem die Fürbitte Mariens erfleht wurde.


Bis zur Neufassung im Jahre 1978 bestand dann die Segensformel aus Psalm 64 und drei längeren Gebeten. Im ersten heißt es, dass die Kräuter und Früchte den Lebewesen nicht nur als Nahrungsmittel, sondern auch als Heilmittel nützen, und, im Namen Gottes gebraucht, Menschen und Vieh Schutz gegen alle Krankheiten und Widerwärtigkeiten bieten sollen. Das zweite Gebet verzeichnet eine lange Reihe von Wirkungen der gesegneten Kräuter; es enthält die Bitte, die Kräuter mögen die Gnade und die Verdienste Mariens den Menschen und allem Vieh als Heilmittel gegen Krankheiten, Seuchen, Geschwüre, Schlangengift, den Biss anderer giftiger Tiere und jedes Gift dienen, sowie Schutz gegen Anfechtungen und Betrug des Teufels gewähren.

Die 1978 neu gefassten Gebetstexte geben die früheren volksgläubig-magischen Vorstellungen auf und heben stattdessen das göttliche Wirken in der Natur hervor: „Herr, unser Gott, du hast Maria über alle Geschöpfe erhoben und sie in den Himmel aufgenommen. An ihrem Fest danken wir dir für alle Wunder deiner Schöpfung. Durch die Heilkräuter und Blumen schenkst du uns Gesundheit und Freude. Segne diese Kräuter und Blumen. Sie erinnern uns an eine Herrlichkeit und an den Reichtum deines Lebens. Schenke uns auf die Fürsprache Mariens dein Hilfe“
Das Benediktionale führt einleitend dazu aus: „Zur Kräutersegnung werden seit über tausend Jahren an diesem Tag Heilkräuter zum Gottesdienst gebracht. Die Heilkraft der Kräuter soll durch die Fürbitte der Kirche dem ganzen Menschen zum Heil dienen. Dieses Heil ist an Maria besonders deutlich geworden. Deshalb bezieht die Liturgie die Aussagen der Schrift über die göttliche Weisheit auf Maria und bringt Palmen, Rosen, Zimt, Myrrhe, Weihrauch, Wein und wohlriechende Kräuter (vgl. Sir. 24) herbei, um Maria zu ehren. Mit den Blumen bringen wir die Schönheit der Natur in den Gottesdienst, der so zu einem sommerlichen Fest der Freude wird“.
An ältere Überlieferungen, die Kräuter auf den Altar zu legen, knüpfen heutige Anleitungen zur Kräutersegnung an: „Nach der Segnung, die entsprechend dem Benediktionale erfolgen kann, folgen die Fürbitten, in denen nochmals die Sorge um die Erhaltung unserer Erde anklingt, das Gedenken der Kranken der Gemeinde erfolgt, und alle einbezogen werden in die Sorge um das Heil … Danach legen die Kinder (und auch die Erwachsenen, die Kräuterbunde mitgebracht haben) ihre Bündel rings um den Altar und auf den Altar nieder, so daß dieser fast ganz bedeckt wird mit der Pracht der Heilkräuter, der Blumen, sowie der Ähren des Brotgetreides, aus denen das Opfermahl bereitet wird.“

Die Pflanzen

Königskerze und Wermut

In die Sträuße wurden Getreideähren, verschiedene Nutzpflanzen (z. B. Zwiebeln) und vor allem Heilkräuter, die aufgrund ihrer natürlichen Wirkung als Heilmittel anerkannt sind, gebunden. In Bergershausen, früher Kr. Bergheim, waren es: „Blotsknöpp (in den Wiesen wachsend), Bletzkärze (gelbe Kerzchen), Donnekärze (rote Kerzen), 1 Wöllekärz (Königskerze), Herrgottsnäh (gelbe Blume, glänzend), Spargel, Wermut, Hafer, Lazeieblader (ähneln dem Efeu, wachsen auch wie dieser an der Hauswand), Bettstrüh.“
Für Geseke (Kr. Soest) werden für die vierziger Jahre folgende Kräuter bezeugt: „Ich kann mich ungefähr erinnern, was alles zusammengebunden wurde: Getreide: Wintergerste, Roggen, Weizen, Hafer. Kräuter: Kamille, Wermut, Kümmel, Schafgarbe, Pfefferminze, Salbei, Zinnkraut und verschiedene andere. Wir mußten als Kinder draußen in der Feldflur suchen, denn verschiedene Kräuter wuchsen ja am Feldrand. Einige Kräuter hatte man ja auch im Garten“.

Heiltum bei allen Anliegen …

Die Kräuter galten als Heilmittel in allen Nöten des menschlichen Lebens. Als Heilmittel fand der Krautwisch bzw. einzelne Kräuter davon Verwendung bei Krankheit sowie als Schutz vor Krankheit bei Mensch und Vieh: „Tee bei bestimmten Krankheiten (Leibschmerzen, Würmer)“ (Marialinden, Rhein.-Berg.-Kreis); „Als Tee gebraucht von den Menschen und als Futter für’s Vieh“ (Uedem, Kr. Kleve); „Kleine Zweige zu T ee bei Krankheit von Menschen und Tieren“ (Wallendorf, Kr. Bitburg-Prüm); „Krankem Vieh mischt man sie unter das Futter“ (Harbach, Kr. Altenkirchen)
Schutz vor Blitz und Ungewitter: So war es noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Köln anscheinend allgemein üblich, wie Ernst Weyden bezeugt: „Am 15. August wurde die Würzweihe, kölnisch der ,Kruckwösch‘ in den Kirchen geweiht, den man bei Gewittern anzündete und auf den Herd legte, wie auch geweihte Kerzen angezündet wurden und die Donatusschelle klingelte“.
Aus dem westfälischen Warburger Land wird für das 19.Jahrhundert bezeugt: „Die so geweihten Pflanzen werden bis zum nächsten Sommer aufbewahrt. Der einzige Gebrauch, den man von ihnen macht, ist der, daß man bei schweren, in jenen gebirgigen Gegenden lange anhaltenden Gewittern einen Theil des Weihbundes auf dem Herde verbrennt, während man in der Wohnstube eine am Feste Maria Lichtmess (2. Februar) geweihte Kerze anzündet“.
In der Landwirtschaft wurde der Kräuterbüschel bei der Aussaat gebraucht; er sollte das Gedeihen der Frucht fördern. Gesegnetes Getreide wurde auch der Ernte beigefügt. In der Südeifel war vor 70, 80 Jahren noch folgender Brauch üblich: „Das erste Getreide wird eingescheuert. In den Lagerräumen der Scheune und unter die erste Garbe oder in das ,Barloch‘ wird dann ein Teil des Krautwischs gelegt, um den Erntesegen vor Schaden (Mäusefraß oder Feuersgefahr) zu bewahren“.
Grabbeigabe: Gleich anderen geweihten Gegenständen wie Medaillen, Rosenkränzen, Palmzweigen wurde der Krautwisch als Sarg- und Grabbeigabe benutzt: „Noch im Tode soll der Bauer des Segens aus dem Krautwisch teilhaftig werden, in die Todenlade steckt man unter die Leiche drei über Kreuz gelegte Krautwischteile“. Zweck dieser Grabbeigabe ist es, die Fürbitte Mariens für die Arme Seele zu erflehen: „Die an Maria Himmelfahrt (15.8.) geweihten Kräuter beziehen sich auch im Jenseits auf Maria, die wir schon auf mittelalterlichen Darstellungen des Jüngsten Gerichtes und mancher Armenseelenbilder als Fürbitterin für die Seelen sehen“ oder: „Mit Wurzwisch im Himmel die Muttergottes begrüßen“.
Gesegnete Kräuter kamen auch als sogenannte Bauopfer zur Geltung; Kräuter aus dem Krautwisch, ebenso Zweige aus dem Palmbusch wurden beim Neubau unter den Grundstein gelegt oder unter die Schwelle von Haus und Stall, beispielsweise für den Hunsrück bezeugt: „In manchen Gegenden – auf dem Hunsrück findet man’s heute noch – pflegt man beim Neubau eines Hauses solch geweihte Kräuter unter der Schwelle der Haupteingangstür des Hauses, des Stalles und der Scheune zu legen und diese mit einzumauern, um dadurch Gottes Segen und Schutz für Menschen, Vieh und sonstigen Besitzstand zu erflehen“.

Neubelebung des Brauchs: Kräutersegnung als Zeichen des Heiles


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In jüngster Zeit bemühen sich Heimatvereinigungen sowie kirchliche Kreise, den Brauch neu zu beleben, beispielsweise mit dieser vierfachen Begründung; anthropologisch-psychologisch: „Einer kritischen Beurteilung der modernen Hochleistungsmedizin steht ein wachsendes Vertrauen in die Heilkraft natürlicher Substanzen gegenüber.“; pädagogisch: „Das Suchen, Sammeln und Bestimmen der Kräuter bringt die bunte Fülle der Pflanzen und Gewürzkräuter, wie sie trotz aller Veränderungen des natürlichen Umfeldes auch heute noch überall zu entdecken ist, zum staunenden Bewußtsein …Das Auffinden der ökologischen Standpunkte führt oft zu einer Erst- oder Neuentdeckung der näheren Heimat.“; soziologisch: „Bewahrung, Pflege und Neuentwicklung verdienen solche Bräuche, die regional oder für bestimmte Gruppen Bedeutung haben, da sie besonders eng mit den kulturellen oder gesellschaftlichen Lebensverhältnissen verbunden sind.“; theologisch-pastoral: „Die Kräuter und Blumen, ,mit denen wir die Schönheit der Schöpfung in den Gottesdienst bringen‘ (Benediktionale), sprechen vom Ja des Schöpfers zu seinem Werk, aber auch von der Verantwortung des Menschen zu ihrer Erhaltung und Pflege.“

Kräuter zum Segnen am Altar

Kräutersegnung in der Kirche St. Sebastian in Roisdorf am 16.8.2020. Die Kräuter hatten die Heimatfreunde Roisdorf unter Leitung des Vorsitzenden Dr. Ernst Gierlich gesammelt und gebunden. Die Segnung der Büschel vor dem Altar, des Blumengestells seitlich des Altars und des Blumenschmucks an der Marienstatue vollzog Kaplan Pater Christian Ikpeamaeze SMMM. Der Vorsitzende verteilte den „Kruggweusch“ nach der Messe an die Gläubigen.

In den Bräuchen um den Krautwisch vermisch(t)en sich kirchlich-rituelle Formen, magisch-abergläubische Vorstellungen und kenntnisreich-praktische Erfahrungen; im Kräuterbund vereinigen sich gewissermaßen sakrale, übernatürliche und natürliche Inhalte zu einer gesteigerten Wirkung. Das „Krautbundsammeln“ hat in den letzten Jahren eine neue Wertschätzung erfahren – mit neuen theologischen, (volks-)medizinisch-naturheilkundlichen und ökologischen Inhalten und Bezügen.

Literaturhinweise

Benediktionale. Studienausgabe für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Freiburg/Basel/Wien 1994

Alois Döring: Rheinische Bräuche durch das Jahr. 2. Auflage Köln 2007, S. 308ff.

Zur Tradition der Kräutersegnung in Roisdorf siehe http://www.heimatfreunde-roisdorf.com/brauchtum/kraeuterweihe-an-mariae-himmelfahrt/index.html und https://www.baruv.de/seelsorgebereich/termine

Abbildungen in chronologischer Reihenfolge

Duccio di Buoninsegna: Dormitio/Marientod, 1308/11
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e4/Duccio_di_Buoninsegna_046.jpg
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/2/28/K%C3%B6nigskerze_am_Lengenbach_August_2012.jpg/766px-K%C3%B6nigskerze_am_Lengenbach_August_2012.jpg
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Artemisia_absinthium_-_K%C3%B6hler%E2%80%93s_Medizinal-Pflanzen-164.jpg
Foto Apothekergarten Salinenpark Traunstein, C. Weber Köln
Foto Dr. Alois Döring, Alfter