„Pfingsttaube“

Dr. Alois Döring

Der Kunstmaler und Krippenbauer Theodor Gämmerler (1889-1973) hat im Bürgersaal München von 1947 bis 1968 eine Jahreskrippe mit ca. 200 Darstellungen gestaltet. Eine neutestamentliche Szene stellt die Taufe Jesu dar: Johannes tauft den im Jordan betend stehenden Christus, oben am Himmel schwebt eine Taube: „Und als er aus dem Wasser stieg, sah er, daß der Himmel sich öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam“ (Mk 1, 9-10)

Die Taube − Opfergabe und Geistsymbol

In der Bibel ist die Taube u.a. erwähnt als Reinigungsopfer. Nach dem biblischen Gesetz des Mose gilt die Frau nach einer Geburt als unrein. Sie hatte als Reinigungsopfer ein Schaf und eine Taube zu übergeben, eine ärmere ersatzweise zwei Turteltauben oder andere Tauben. Sie finden sich deshalb gelegentlich in Krippendarstellungen zum Fest Mariä Lichtmess / Darstellung Jesu im Tempel.

Die Taube gilt als Symbol des Heiligen Geistes bei der Taufe Christi. „Der Bericht der Taufe Jesu in allen vier Evangelien liefert die seit dem Frühchristentum bis heute gängige Formel für die Darstellung des Heiligen Geistes in Gestalt einer Taube,“
so Genoveva Nitz im Lexikon für Theologie und Kirche. Außerdem erscheint die Geist-Taube als symbolischer ikonographischer Typus bei der Verkündigung Marias (Lk 1, 35).

Die Taube wird gedeutet als „gestalthaftes Symbol des unsichtbaren Gottesgeistes“.
Auch der Reformator (D Martin Luthers Bekändtnis vom Abendmahl Christi, 1528) verbindet die Taube mit dem Heiligen Geist; so rede „die Schrifft frey, daß wer solche Taube siehet, der siehet den heiligen Geist“.

Taube und Pfingsten − Kirchenbrauch

In der biblischen Pfingstgeschichte kommen überhaupt keine Tauben vor. Dort heißt es: „Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ (Apostelgeschichte 2, 1-4)

In der kirchlichen Tradition jedoch steht weniger das Feuer als vielmehr die Taube symbolisch für das Pfingstwunder: für den heiligen Geist, der zu den Menschen herabkommt. Wie an anderen kirchlichen Festtagen ist es denn auch an Pfingsten üblich geworden, das religiöse Geschehen anschaulich darzustellen, nämlich die Herabkunft des Heiligen Geistes in Gestalt einer Taube. Sebastian Franck (1499-1542) ist unser frühester Brauchzeuge, in seinem „Weltbuch“ schreibt er: „Gleich darauff über neun tag ist der Pfingstag / da henckt man eyn hültzin vogel oder tauben vnder das loch im gewelb / das bedeutt den Heyligen geyst den Aposteln zugeschickt.”

Dieser Brauch war seit dem Mittelalter wohl jahrhundertelang im christlichen Abendlande weit verbreitet. Der berühmte Theologe des 13. Jahrhunderts Wilhelm Durandus schreibt dazu: „Dann wird auch von oben Feuer heruntergeworfen, weil der Heilige Geist in feurigen Zungen auf die Jünger herabstieg, und ebenso verschiedenartige Blumen zur Bezeichnung der Freude der Mannigfaltigkeit der Sprachen und Gaben. Auch Tauben lässt man durch die Kirche flattern, wodurch die Sendung des Heiligen Geistes selbst angedeutet wird.“ Der Benediktinermönch Edmond Martène (1654-1739) erläutert im Pfingstkapitel seines Werks über die alten Riten der Kirche, warum dies geschehe: „Alles dies freilich wurde vornehmlich zur Belehrung und zum Nutzen der Frömmigkeit des Volkes ausgeführt, das durch diese äußeren Zeichen weit mehr unterrichtet und bewegt wird, als durch irgend welche Predigt.“

Pfingsttaube − ein verschwundener Kirchen-Brauch im Rheinland

Im Aachener Münster (Hoher Dom zu Aachen) gab es folgenden Pfingstbrauch, den die liturgischen Kirchenbücher im 14. Jahrhundert überliefern: Am Pfingstsonntag ließen mehrere, für ihre Bemühungen eigens bezahlte Männer zu Beginn des Hochamtes drei lebende Tauben aus der Höhe in das Gotteshaus hinunterflattern. Dann streuten sie Blumen und grüne Blätter, in späterer Zeit nur noch grünes Laub. Zuletzt ließen sie brennende Wergbüschel oder Flachsflocken von der Empore hinabfallen.

Die Aachener Quellen deuten in keiner Weise an, von wo aus man die Tauben in die Kirche flattern ließ. Wie kunsthistorische Untersuchungen zum gotischen Kirchenbau nachweisen, geschah dies in der Regel durch eine Öffnung, die im Deckengewölbe angebracht war und daher „Heiliggeistloch“ hieß. Wann der Pfingstbrauch in Aachen abgeschafft worden ist, lässt sich nicht bestimmen. Für die Kirchen St. Foillan und St. Peter gehören die letzten Nachrichten dem 17. Jahrhundert an, für das Münster dem Jahre 1721.

In Eifeler Dorfkirchen soll der Pfingsttaubenbrauch noch bis in das 20. Jahrhundert üblich gewesen sein, wie Hubert Meyer 1955 mitteilt: „So gab es denn noch bis vor gar nicht so langer Zeit hier und da in Eifeler Kirchen das innig-groteske Schauspiel, daß während des feierlichen Pfingstgottesdienstes hoch aus dem Schlußloch im Gewölbe der Kirche eine Taube als Vergegenwärtigung des Heiligen Geistes höchst gegenständlich auf die fromme Gemeinde herabschwebte. Wie lebhaft der Geist und wie erdnahe seine Herabkunft wurden, das war freilich dem Küster oder seinen Meßjungen überlassen, deren hohes Amt an diesem Tage war, die hölzerne Taube herabschweben zu lassen. Und da hat manchmal gar ein Spaßvogel oder auch ein derb-gutmütiger Schalk seinen verzeihlichen Zorn am gestrengen Lehrer ausgelassen, indem er ihm den hölzernen Geist bedrohlich nahe ums gebeugte Haupt schweben ließ. Sobald aber das Evangelium von der Herabkunft des Heiligen Geistes verklungen war, verschwand auch die hölzerne Taube wieder durch das Loch im Gewölbe.“

Literaturhinweise

Rolf Dettmann, Matthias Weber: Eifeler Bräuche im Jahreskreis und Lebenslauf. Köln 1981
Alois Döring: Rheinische Bräuche durch das Jahr. 2. Auflage Köln 2007

Genoveva Nitz: Heiliger Geist VII. Ikonographisch. In: Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage Bd. 4, Freiburg, Basel, Rom, Wien 1995, Sp. 1315

Benedikt Schwank: Taube I. Biblisch. In: Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage Bd. 9, Freiburg, Basel, Rom, Wien 2000, Sp. 1277