Von Kerbhölzern, Himmelsleitern und Adventshäusern

Adventspädagogik in ihrer Geschichte und Vielfalt

Die Wurzeln der heute bekannten Adventssymbole und adventlichen Requisiten Kranz und Kalender sind in der religiösen Pädagogik zu suchen. Gedanke und Form des Adventskranz-Brauches gehen zurück auf den Gründer der Inne­ren Mission, Johann Heinrich Wichern (1808-1881), der örtliche Ausgangspunkt war das von ihm 1833 gegründete Rauhe Haus in Hamburg-Horn, eine Anstalt zur Betreuung gefährdeter Jugendlicher. Während der Adventszeit kamen alle Bewohner für fünf bis zehn Minuten zu einer Andacht im Betsaal zusammen, der mit Tannengrün geschmückt war. Jeden Tag wurde eine Kerze angezündet, und zwar auf einem ebenfalls tannengeschmückten Kronleuchter, während eine „prophetische Verheißung“ verlesen wurde. Aus der Lichterkrone wurde der Adventskranz. Dem gleichen Rhythmus wie der Kranz folgen die vielerlei Adventskalender für die Kinder. Sie sind Zeitmesser für die Tage im Advent, dessen Abschluss und Höhepunkt das Weihnachtsfest bildet.

Kerbhölzer, Zählhilfen und Himmelsleitern

Doch zuvor schon schufen Eltern einprägsame Mittel, um die Kinder auf das Weihnachtsfest vorzubereiten.  Verschiedene Formen gingen dem Kalender voraus. Hierzu gehörten beispielsweise die Klausen- oder Kerbhölzer. Was die Eltern als wirtschaftliche Rechnungshölzer benutzten, formten sich die Kinder zu „frommen“ Kerb­hölzern um, auf denen nicht die Unarten, sondern in den Wochen vor Weihnachten die guten Taten und die Anzahl der verrichteten Gebete eingekerbt wurden. Mit solchen Zei­chen konnten die Kinder dem Nikolaus oder dem Christkind ihr Wohlverhalten beweisen.

Kerb- oder Klausenhölzer (Beitl, Klausenholz)

Ferner waren diverse Zählhilfen für die Warte- und Vorbereitungszeit auf Weihnachten bis in das 19. Jahrhundert hinein üblich. So haben Eltern bei­spielsweise 24 kleine Lebkuchen auf Pappe aufgenäht, von denen die Kinder jeden Tag einen aufessen durften.

Thomas Mann (1875-1955) schildert in seinem 1901 erschienenen Roman „Buddenbrooks“ den Advent des Jahres 1869, in dem der kleine Hanno das Nahen der Weihnachtszeit auf einem von der Kinderfrau Ida Jungmann angefertigten Abreißkalender verfolgt: „Unter solchen Umständen kam diesmal das Weihnachtsfest heran, und der kleine Johann verfolgte mit Hilfe des Adventskalenders, den Ida ihm angefertigt und auf dessen letztem Blatte ein Tannenbaum gezeichnet war, pochenden Herzens das Nahen der unvergleichlichen Zeit.“

Auch kannte man so genannte Christkind- oder Himmelsleitern: Laubsäge- oder Papierarbeiten, bei denen das Christ­kind jeden Tag im Advent vom Himmel aus eine Sprosse weiter auf die Erde herabstieg. Sie waren noch im frühen 20. Jahrhundert bekannt.

Himmelsleiter (https://www.brauchwiki.de/wp-content/uploads/2019/05/Adventskalender03.jpg)

Aus dem 19. Jahrhundert sind so genannte Strichkalender bezeugt: In das Innere eines Schrankes oder an eine Türe wurden 25 Kreidestriche gemacht, jeden Abend löschten die Kinder dann eine Strich aus, den letzten zur Bescherung am 25. Dezember. Der Termin für die Kinderbescherung an Heilig Abend setzte sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts allgemein durch.

Holztüre mit verschiedenfarbigen Kreidestrichen, von denen täglich einer weggewischt werden darf (Gajek, Adventskalender)

Pater Rupert Mayer (1876-1945) schildert in einem Adventsbrief seinen Strichkalender: „Um die Weihnachtsstimmung in den Herzen der Kinder noch mehr zu fördern, hatten sich in vielen Familien mancherlei Gewohnheiten herausgebildet. So hatte man z. B. bei uns zu Hause am Abend des 30. November in Anwesenheit der Eltern und Kinder 25 Kreidestriche in das Innere eines alten Spielschrankes, der im Kinderzimmer stand, gemacht. In Gegenwart von klein und groß durfte jeden Abend eines der Geschwister in bestimmter Reihenfolge einen Strich auslöschen. Jeden Abend nahm die Spannung zu. So ging das bis zum 24. Dezember. Welche Freude, wenn nur noch ein Strich da war!“

Der österreichische Augustiner-Chorherr P. Pius Parsch (1884-1954) schreibt in seinem Buch „Adventabend. Vorlagen und Winke für Heimabende“ (Klosterneuburg bei Wien, 1932): „Uns hat der Vater am ersten Adventssonntag Kreidestriche an den Türstock gezeichnet, für die Sonntage ein längeres oder ein farbiges Stricherl, und ganz oben hat er einen Christbaum gezeichnet. Jeden Abend haben wir einen Stricherl weggewischt.“

Gedruckte Adventskalender

Adventskalender hatten religiöse Unterweisungs- und Erziehungs-Funktion: Sie wurden (und werden auch heute noch) dazu verwendet, Kindern Geduld und Beherrschung beizubringen. Schließlich konnte man in ihnen „auch eine Vorwegnahme des Schenkens am Heiligen Abend sehen, wenn schon ab dem 1. Dezember täglich ein kleines Präsent – sei es ein Bild, eine Süßigkeit oder ein Gegenstand – angesehen oder gar entnommen werden darf“.

Gedruckte Adventskalender gehören heute zur Selbstverständlichkeit. In ihrer gedruckten Form sind sie aber erst gut 100 Jahre alt. Den ersten gedruckten Adventskalender veröffentlichte zu Beginn des 20. Jahr­hunderts der Verleger Gerhard Lang in München, nämlich den „Weihnachtskalender“ unter dem Titel „Im Lande des Christ­kinds“. Die aufgedruckten Verse hatte der Verleger selbst verfasst, die Darstellungen kleiner mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigter  Engel stammten von dem Kinderbuchillustrator Richard Ernst Kepler.

Weihnachtskalender „Im Lande des Christkinds“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Adventskalender#/media/Datei:Richard_Ernst_Kepler_-_Im_Lande_des_Christkinds.jpg)

Dieser erste Adventskalender hatte noch keine Fensterchen, sondern Bilder zum Aufkleben. Mit ihm begann die rasche Verbrei­tung viel zähliger und vielfältiger Adventskalender. Motive und Figuren wandelten sich, je nach modischem Geschmack oder zeitgenössischem Strömungen. Bei den religiös ausgerichteten Adventskalendern öffnet(e) sich hinter kleinen Klappfenstern an jedem Adventstag ein neues weihnachtlich-bezugreiches Bild. Neben Kalendern mit Fensterchen zum Öffnen gab es Kalender, deren herausge­brochene Figuren am 24. Dezember zu einer Papierkrippe zusammengestellt werden konnten.

Beim Adventshaus als Kalender dienen die Fenster eines Häuschens als Adventskalendertürchen, die beispielsweise Bilder oder Bibelverse zum Vorschein bringen, eine Kerze in der Mitte des Hauses erleuchtet die farbigen Fenster. In ihrem Adventskalender „Adventshaus“ entfaltet die in Bonn geborene Malerin und Illustratorin von Adventskalendern Gudrun Keussen (1920-2006) Adventsstimmung und Vorbereitung auf den Heiligen Abend: „Jede Woche brennt ein weiteres Licht am Adventskranz, eine Krippe mit Strohhalmen steht auf der Kommode, Barbarazweige werden aufgestellt, Kinder basteln an Geschenken und sagen dem hereintretenden St. Nikolaus Gedichte auf, Mütter erzählen Geschichten und backen, für die Vögel werden Körner gestreut, der kranke Nachbarjunge wird beschenkt, und am 24. Dezember hat sich die Familie vor dem geschmückten Weihnachtsbaum versammelt.“

Gudrun Keussen: Das Adventshaus. München 1983 (Gajek, Adventskalender)

Literatur
Klaus Beitl: Das Klausenholz. Untersuchung der Gebetszählhölzer im vorweihnachtlichen Kinderbrauch. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 20 (1970) S. 7-92
Alois Döring: Rheinische Bräuche durch das Jahr. 2. Auflage Köln 2007
Esther Gajek: Adventskalender von den Anfängen bis zur Gegenwart. München o.J. (1988)
Dietmar Sauermann: Von Advent bis Dreikönige. Weihnachten in Westfalen (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, 93). Münster/New York 1996